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Wir brauchen mehr Gestaltungshunger für eine nachhaltige Wirtschaft

Sarah Maria Böhmer • 10. November 2022

Lesen Sie, warum wir einen Weg aus der reinen Produkt- & Prozessoptimierung finden müssen.

Eine Einladung zum Perspektivwechsel auf die Nutzung der Wesentlichkeitsmatrix im Rahmen von Nachhaltigkeitsstrategien.


Die Mehrheit der Nachhaltigkeitsstrategien ist darauf fokussiert, Produkte und Prozesse eines Unternehmens derart zu verändern, dass sie nicht (länger) Verursacher oder Treiber der globalen Herausforderungen sind. Im besten Fall gehen sie noch weiter und identifizieren Momente entlang der Wertschöpfungskette, an welchen sogar ein positiver Impact realisiert werden kann. Hilfsmittel, um die Nachhaltigkeitsstrategie zu entwickeln sind häufig die Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen (SDGs) und die Wesentlichkeitsmatrix, die Nachhaltigkeitszielsetzungen nach ihrer Relevanz für Stakeholder und der Auswirkungen auf den Unternehmenserfolg einstuft.

 

Das ist richtig & wichtig, denn diese Werkzeuge sorgen dafür, dass die drängendsten globalen Herausforderungen unserer Zeit konkret adressiert werden – insbesondere die Klimakrise erfordert, wie wir wissen, schnelles Handeln!

 

Die Anwendung der Wesentlichkeitsmatrix geht auf die Global Reporting Initiative zurück, kurz GRI. Diese ist ein Anbieter von Richtlinien für die Erstellung von Nachhaltigkeitsberichten. Diese Herkunft erklärt, weshalb sie primär darauf ausgerichtet ist, Transparenz bzgl. der Nachhaltigkeit in der Unternehmenspraxis zu schaffen, ein konsistentes Monitoring sowie Vergleiche zu anderen Unternehmen zu ermöglichen.



Wir optimieren statt umzugestalten

 

Es ist nachvollziehbar, dass dieses bereits genutzte Werkzeug von vielen Unternehmen dann auch herangezogen wird, wenn es um das Entwickeln der Nachhaltigkeitsstrategie geht, also das Ableiten neuer oder ambitionierterer Ziele und entsprechender Maßnahmen. Die Wesentlichkeitsmatrix sorgt damit primär dafür, derzeitige negative Auswirkungen der Geschäftstätigkeit zu vermindern oder zu vermeiden. Sie sorgt nicht dafür, das derzeitige Wirtschaftsverständnis zu hinterfragen und mit grundlegenden Mechanismen zu brechen.

 

Für mich ist das – unter anderen – eine Grund, weshalb viele Unternehmen hinter ihren Gestaltungsmöglichkeiten bleiben. Natürlich ist mit dem Anwenden der Wesentlichkeitsmatrix im ersten Schritt schon viel gewonnen, doch ich bin der festen Überzeugung, dass mehr Veränderungskraft in Unternehmen steckt.



Die Wesentlichkeitsmatrix veändert nicht unsere Denk- & Entscheidungsmuster

 

Was die Wesentlichkeitsmatrix nicht leisten kann, ist

  • ein „bigger picture“, ein wirklich groß gedachtes, wünschenswertes Zukunftsbild einer nachhaltigen Wirtschaftsweise für Unternehmen zu erzeugen.
  • bewusst zu machen, welche Glaubenssätze und eingefahrenen Entscheidungsmuster zum aktuellen Stand der Dinge geführt haben, die für eine ganzheitliche Veränderung aufgebrochen werden müssen.

 

Aktuell verlangen die meisten Nachhaltigkeitsstrategien, aus denselben, vor Jahrhunderten entstandenen Denkmustern und Vorstellungen davon, welchen vermeintlichen Gesetzmäßigkeiten die Wirtschaft folgt, wann und wie Unternehmen erfolgreich sind, tiefgreifende Veränderungen zu entwickeln. Dieselben, die uns mit in die aktuellen Herausforderungen manövriert haben.

Das führt dazu, dass sich diese Strategien und das angepasste Verhalten – rein aus rationaler Notwendigkeit heraus geboren – denselben Mechanismen folgend, als (wirtschaftlich) lohnend herausstellen müssen. Jede Veränderung muss sich im "alten System", in den bestehenden Strukturen beweisen, statt sie zu verändern.

Wir können uns schlicht nicht vorstellen wie oder glauben nicht daran, dass die Wirtschaft auch anders funktionieren kann. Und es hindert uns dabei, die Systemfehler unserer Wirtschaft grundlegend zu beseitigen.

 

Die Lösung kann aus meiner Sicht auch nicht allein sein, auf ein neues Wirtschaftsmodell und dessen Vorteile zu verweisen und zu hoffen, dass es die alten Denkmuster überschreibt. Es ist unerlässlich, dass wir uns unsere aktuellen prägenden Glaubenssätze bewusst machen, um selbst zu erkennen, welche uns mehr behindern als helfen.


 

Wie wir die Welt sehen, entscheidet darüber, wie wir die Wirtschaft gestalten.


Unsere Glaubenssätze sind wie eine Brille, durch die wir die Welt sehen und wie wir sie uns  vorstellen  können - auch im Falle der Wirtschaft. Was wir glauben zu sehen, entscheidet darüber, wie wir handeln und damit darüber, wie wir die Welt gestalten. Es wird zur selbsterfüllenden Prophezeiung.

 

Unser Alltag ist davon geprägt, dass wir Menschen, ihre Motive, Kulturen oder Situationen aufgrund unserer Glaubenssätze falsch einschätzen. Und auch im Arbeitsalltag prägen unsere Glaubenssätze jede Entscheidung, die Art wie wir Mitarbeiter:innen führen, wie wir unsere Aufgaben erledigen und wie wir tagtäglich zusammenarbeiten und miteinander umgehen.

 

Durchsetzen können sich immer jene Glaubenssätze, die auf gesellschaftliche Resonanz stoßen. Resonanz erzeugt, was unsere Erfahrungen der gesellschaftlichen Welt verstärkt oder durch die verstärkt wird. Es ist also enorm wichtig sich zu verdeutlichen, in welcher Zeit und unter welchen Lebensumständen sie entstanden sind. 

 

Wenn wir ein neues Wirtschaftsverständnis und eine Wirtschaftsweise entwickeln wollen, deren Kern es ist, eine gute und gerechte Zukunft für alle mitzugestalten, müssen wir unsere aktuellen Glaubenssätze vor dem Hintergrund der jetzigen Realität, hinterfragen. Damit wir eine Vorstellung davon entwickeln, wie Wirtschaft auch sein könnte – ein „bigger picture“. Dadurch werden neue Wirkräume sichtbar und es entsteht unter Führungskräften und Mitarbeiter:innen Gestaltungshunger – ein innerer Antrieb, einen anderen Weg zu finden, einzuschlagen und gestalten.

 

Mit dieser Vorstellungskraft gehen Unternehmen in Stiftungsmodelle über wie es Patagonia erst kürzlich tat. Man entscheidet sich bewusst, das Marketingkommunikationsbudget zugunsten der Entwicklung nachhaltiger Produkte zu kürzen wie VAUDE. Oder man führt einen Anti-Mengenrabatt ein wie das Premium-Kollektiv.

 


Mit dem Gewohnten derart konsequent zu brechen, lässt sich nicht allein aus einer Wesentlichkeitsmatrix ableiten.


Unternehmen, deren Anliegen es ist, ihre Wirtschaftsweise grundlegend nachhaltig umzugestalten, um eine gute & gerechte Zukunft für alle aktiv mitzugestalten, sollten ihre Nachhaltigkeitsstrategie um das Entwickeln und Verankern eines neuen, ganzheitlichen Nachhaltigkeits-Mindsets durch Perspektivwechsel auf die aktuellen Glaubenssätze und Selbsterkenntnis ergänzen


 

Veränderung beginnt in uns selbst


Was die Wirtschaft tatsächlich verändert, werden nicht allein aus einer Wesentlichkeitsmatrix heraus strukturiert und gewissenhaft abgeleitete Nachhaltigkeitsziele und Maßnahmen oder ein neues ökonomisches Modell sein. Auch wenn beides seine Berechtigung hat und weiterhin nötig sein wird.



Was die Wirtschaft tatsächlich verändert, kann meiner Ansicht nach nur der geweckte intrinsische Gestaltungshunger von Unternehmer:innen und Mitarbeiter:innen sein.


Wie in allem gibt es dabei nicht den einen richtigen Weg. Wenn Sie sich dazu austauschen möchten, sind Sie herzlich eingeladen, mir direkt zu schreiben.

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